(Un-)begrenzte Freiheit auf zwei Rädern? Aktuelles zu Herstellerfreigaben und Abnahme von Motorradreifen
Wie eigentlich jede Art von Kfz-Bereifung sind auch Motorradreifen „eine Wissenschaft für sich“. Durchmesser, Breite, Querschnitt, Abrollumfang, Speedindex und Lastindex… neben dem richtigen Reifendruck und ausreichender Profiltiefe gibt es eine Menge Parameter, die für angemessene Fahrperformance und vor allem für StVZO-konforme Betriebssicherheit verantwortlich sind.
Wer aber die Liebe zum Zweirad für sich entdeckt hat, durfte (zumindest bislang) feststellen, dass passende Bike-Bereifung dank der Regelung durch Herstellerfreigaben seitens der Reifenmarken relativ schnell und unkompliziert zu finden war.
Die reine Handhabung und Umrüstung von Motorradreifen mittels Unbedenklichkeitsbescheinigung (UBB) der Reifenhersteller ist aber im Zuge einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weitestgehend hinfällig. Die Neuregelung trat mit Jahresbeginn 2020 in Kraft und für gewisse Fälle herrscht noch eine Schonfrist bis zum Jahresende 2024. Darüber hinaus müssen sich Motorradfahrer gegenwärtig und künftig auf mehr Zeitaufwand und Kosten einstellen, da eine Umbereifung am Motorrad pauschal mit der Begutachtung und Abnahme durch eine Prüforganisation verbunden ist.
Was bedeutet das für Motorradfahrer in Detail? Welche Änderungen und Einschnitte, aber auch Chancen und Vorteile haben Biker durch die Regelung für neue Motorradreifen?
Reifen24.de nimmt das Thema für Sie ins Visier!
Überblick: Motorradreifen Neuregelung
- Bisherige Handhabung von Motorradreifen über Herstellerfreigaben
- Neuregelung für Motorradreifen: Was genau ändert sich?
- Motorradreifen Einzelabnahme: Details und Ausnahmen
- Hat die Neuregelung auch positive Aspekte für Biker?
- Herstellerfreigaben jetzt hinfällig?
- Neuregelung längst überfällig oder total überflüssig?
Bisherige Handhabung von Motorradreifen über Herstellerfreigaben
Bei der Entwicklung von Motorrädern haben die Fahrzeughersteller (Motorradmarken) ihre neuen Krads oft in Zusammenarbeit mit nur einem bestimmten Reifenhersteller getestet. In Vergangenheit war es nicht unüblich, dass dieser spezifische Reifenhersteller dann auch in den Papieren vermerkt war bzw. bei Zulassungsbescheinigungen älterer Fahrzeuge immer noch vermerkt ist. Die Herstellerangabe im Fahrzeugschein kann in Ausnahmefällen als sogenannte Fabrikatsbindung noch verbindlich sein, ist aber mittlerweile in den gängigsten Fällen lediglich als Empfehlung zu sehen.
Sofern ein Reifenmodell einer anderen Marke mit denselben oder vergleichbaren Dimensionen und Spezifikationen am Motorrad montiert werden soll, ist die in der Zulassungsbescheinigung eingetragene Reifenmarke und das Modell lediglich als Bereifungsempfehlung zu betrachten und nicht bindend.
Um eine Fabrikatsbindung zu umgehen und das volle Potenzial des Reifenmarktes und der Motorräder auszuschöpfen, haben sich Fahrzeug- und Reifenhersteller bereits vor längerem auf gemeinsame Testverfahren geeinigt. In umfassenden Tests werden seitdem Motorrad- und Reifenmodelle regelmäßig kombiniert und strengen, praxisnahen Prüfungen unterzogen.
So kamen und kommen auch weiterhin die etablierten Hersterllerfreigaben zustande, die auch als Unbedenklichkeitsbescheinigung (UBB) bekannt sind und bislang Gang und Gäbe waren.
Gemeinsame, intensive Testverfahren zwischen Motorradherstellern und Reifenmarken wie u. a. Metzeler, Pirelli, Maxxis, Michelin, Bridgestone, Continental, Heidenau u. v. m. wurden bislang als reliable Grundlage für die Reifenfreigaben auf den unterschiedlichen Motorradmodellen akzeptiert. Die speziellen Bedingungen auf eigenen Teststrecken boten aussagekräftige Ergebnisse, um die Kombination aus Motorrad- und Reifenmodell als unbedenklich (oder eben nicht) für den öffentlichen Straßenverkehr einzustufen. Die Freigabe des Reifenherstellers hatten Motorradfahrer bislang als Nachweis bei jeder Fahrt stets mitzuführen.
Mit der 2019 beschlossenen Neuregelung ändert sich daran nun einiges.
Neuregelung für Motorradreifen: Was genau ändert sich?
Bereits seit vielen Jahren war Prüforganisationen daran gelegen, die bewährte Regelung auf Basis der Herstellerfreigaben zu kippen. Der Gesetzgeber hat die Apelle in Vergangenheit abgelehnt – bis es 2019 doch zur Änderung kam und sich seitdem für Motorradfahrer einiges geändert hat bzw. noch ändern wird.
Mit der neuen Regelung ändert sich vor allem die Voraussetzung, dass ein Reifen nicht mehr final durch den Reifenhersteller, sondern im Zweifel durch eine gesonderte Abnahme durch eine Prüforganisation wie Dekra oder TÜV freigegeben wird.
Ob und wann die neue Regelung im individuellen Einzelfall greift oder (noch) nicht, hängt insbesondere vom Motorradreifen selbst ab. Prinzipiell umfasst das Gesetz alle Motorräder mit EU-Typgenehmigung, was so ziemlich jedem Motorrad im deutschen Straßenverkehr entsprechen dürfte.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass eine Veränderung am Fahrzeug, die den Bauraum der Reifen betrifft immer mit einem Erlöschen der Betriebserlaubnis verbunden ist.
Ausgehend vom Reifen sind vor allem das Reifenalter (DOT) und die Dimensionen ausschlaggebend. Grundsätzlich sind alle Motorradreifen mit DOT ab 1.1.2020 von der Neuregelung betroffen.
Solche Motorradreifen, deren DOT bis einschließlich 31.12.2019 datiert ist, unterliegen einer Schonfrist bis einschließlich 31.12.2024. Für diese Reifen gilt innerhalb dieser Frist auch weiterhin das Herstellerfreigabe- Prinzip und die UBB muss wie gewohnt bei jeder Fahrt mitgeführt werden. Sobald das Krad aber mit neuen Reifen ausgestattet wird, die von den Eintragungen in der Zulassungsbescheinigung abweichen, unterliegt es der Neuregelung.
Motorradreifen Einzelabnahme: Details und Ausnahmen
Die neue Regelung ist vor allem im Falle einer Umbereifung relevant, also wenn Änderungen der Dimensionen und Spezifikation erfolgen. Solange neue Reifen dieselben Parameter wie die in den Fahrzeugpapieren aufgeführte Bereifung haben, ist keine Einzelabnahme erforderlich.
Notwendig wird die Abnahme erst dann, wenn die neuen Reifeneigenschaften von den Vorgaben im Fahrzeugschein abweichen. Das Grundprinzip ist damit ähnlich der Handhabung von Rad-Reifen- Kombinationen bei Autos.
Ist ein neuer Reifen bspw. breiter, mit größerem Querschnitt oder weicht in seinen Eigenschaften anderweitig von der Vorgabe des Motorradherstellers ab, so wird eine Einzelabnahme fällig. Solche Abweichungen, die vorher noch durch die Freigaben der Reifenhersteller abgedeckt waren, sind damit außer Kraft gesetzt. Stattdessen müssen Motorradfahrer sich entweder an der genauen Reifenbindung der Fahrzeughersteller orientieren oder aber Zeit, Aufwand, Kosten und Risiken einer Abnahme durch TÜV, Dekra, GTÜ & Co. in Kauf nehmen.
Zwar hat es nicht jeder Motorradfahrer darauf abgesehen, seine Reifeneigenschaften und -dimensionen irgendwann zu ändern, jedoch gibt es auch Fälle, in denen kaum eine andere Wahl besteht. Handelt es sich zum Beispiel um ein älteres Motorrad oder ein älteres Reifenmodell, das in den lt. Fahrzeugschein geforderten Dimensionen nicht länger produziert wird, so sind Biker quasi zu einer Umbereifung gezwungen. Auch in solch einem Fall stellte das Prinzip der UBB durch die Reifenhersteller die „Rettung“ für Motorradfahrer dar, weil neue Bereifung einfach, sicher und unkompliziert gefunden und verwendet werden konnte. Die Neuregelung wartet hier hingegen mit erschwerten Bedingungen auf.
Hat die Neuregelung auch positive Aspekte für Biker?
Primär ist die neue Gesetzgebung zur Einzelabnahme bei Umbereifung mit Mehrkosten und zusätzlichem Aufwand für Motorradfahrer verbunden. Es wird komplizierter und teurer, Motorradreifen-Abweichungen vom Certificate of Conformity (COC) tatsächlich für den Straßenverkehr zuzulassen.
Dennoch dürfen Bike-Freunde der Neuregelung auch positive Aspekte abgewinnen. So ist bspw. bei einer reinen Abweichung des Reifenherstellers nicht automatisch eine Abnahme erforderlich, solange alle Dimensionen und Eigenschaften mit den Daten in den Papieren übereinstimmen oder diese sogar übertroffen werden. Die grundsätzlichen Maße wie Zollgröße, Abrollumfang, Breite und Querschnitt müssen also identisch sein bzw. innerhalb des vorgegebenen Spektrums der Dimensionen in der Zulassungsbescheinigung liegen.
Wie bei Autoreifen dürfen Lastindex und Speedindexauch nach oben abweichen, nicht aber geringer als die Vorgabe des Motorradherstellers sein. Bei einer einfachen Umrüstung mit original Dimensionen ist keine Eintragung erforderlich.
Ein weiterer Aspekt, der Motorradfahrer zu Gute kommen könnte, ist die Tatsache, dass Motorradreifen durch die Reifenhersteller oft als Kombination aus Vorder- und Hinterrad angeboten werden. Durch die wegfallende Orientierung an Herstellerfreigaben kann die jetzt geltende Neuregelung dazu führen, dass Mischbereifung erlaubt ist. So könnten Biker also bspw. auf der Hinterachse einen Michelin und auf der Vorderachse einen Continental Reifen fahren, sofern andere Eigenschaften der Reifen und des Fahrzeugs den Vorgaben entsprechen.
Als zusätzlicher Faktor entfällt das Mitführen der UBB der Reifenhersteller für viele Motorradfahrer schon jetzt. Wer aktuell noch bis spätestens Jahresende 2024 mit DOT 2019 Reifen unterwegs ist, muss die entsprechende Herstellerfreigabe auch weiterhin während der Fahrt griffbereit haben. Spätestens ab 1.1.2025 gilt dann aber für alle Biker, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigung zuhause bleiben darf.
Neuregelung längst überfällig oder total überflüssig?
Unter betroffenen Motorradfahrern sorgt die Neuregelung tendenziell für Unmut. Klar: Kosten und Aufwand steigen, es wird deutlich komplizierter, sich mit neuer (abweichender) Bereifung auszustatten.
Die Tests und Freigaben der Reifenhersteller genießen in der Branche und Szene großes Vertrauen, denn schließlich ist auch den Herstellern daran gelegen, ihre Produkte sicher und zuverlässig in den Verkehr zu bringen.
Warum sollte man also das funktionierende System ändern, fragen sich viele. Andererseits lässt sich entgegnen, dass nun die Motorradreifen-Bedingungen näher an den schon lange bestehenden Reifenvorgaben für PKW, SUV, Transporter und Co. orientiert sind. Unabhängige Prüfer und Gutachter können Reifen und Fahrzeug während einer Einzelabnahme in der Regel nicht so gut beurteilen wie die Hersteller in ausgiebigen Testverfahren. Aber: Der Prüfer ist unabhängig.
Damit Sie grundsätzlich weniger Aufwand mit dem Wechsel Ihrer Motorradreifen haben und dieser seltener notwendig ist, lohnt sich die richtige Pflege und Wartung der Reifen.
Neue Motorradreifen in den passenden Dimensionen oder auch für eine Umbereifung Ihrer Maschine finden Sie in unserem Onlineshop.
Herstellerfreigaben jetzt hinfällig?
Komplett nutzlos werden Herstellerfreigaben durch die Neuregelung natürlich nicht. Im Gegenteil: Die Tests und daraus resultierenden Freigaben der Reifenmarken sind bei Einzelabnahmen vor allem für Prüfer und Gutachter wichtigster Orientierungspunkt.
Wenn sich auch die gesamte Regelung rund um Krad-Pneus aus Motorradfahrer-Perspektive geändert hat, so bleiben doch die Dokumente der Industrie, also der Reifen- und Motorradhersteller, zentrale Grundlage.