Testurteile, Vorurteile und Verbot-Irrglaube: Moderne Ganzjahresreifen überzeugen – und sind fit für die Zukunft
Die Meinungen zu Ganzjahresreifen waren bislang oft geteilt. Während viele Autofahrer und Fahrzeughalter den Komfort und die Ersparnis durch Allwetterreifen nicht mehr missen wollen, sehen vor allem Verkehrsexperten und besonders autoaffine Reifenkäufer die Vier-Jahreszeiten-Alternative mit Skepsis. Ist diese Skepsis noch zeitgemäß und begründet? Oder ist es an der Zeit, mit vermeintlichen Vorurteilen gegenüber Ganzjahresreifen aufzuräumen?
Vorab dürfen Besitzer von zeitgemäßen Ganzjahresreifen und All-Season-Interessenten aber beruhigt sein: Denn mitunter tritt das Gerücht auf, dass Ganzjahresreifen ab 2024 verboten sind. Es handelt sich um einen Irrglauben, der mit dem Alpine Symbol (3PMSF) zusammenhängt, jedoch nur in sehr vereinzelten Fällen tatsächlich in Kraft tritt. Mehr Details hierzu im folgenden Artikel.
Reifen24 wirft einen Blick auf die Entwicklung sowie auf den aktuellen Status gängiger Ganzjahresreifen-Modelle mit dem Alpine Symbol.
Warum Ganzjahresreifen es schwer haben – oder besser: hatten!
Es ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen: Ganzjahresreifen sind eine klassische Kompromisslösung. Aus gutem Grund gibt es seit eh und je spezielle Saisonbereifung für Sommer und Winter. Sommer- und Winterreifen sind in ihrer Entwicklung genaustens auf die jeweiligen Witterungsbedingungen, Temperaturen und Straßenverhältnisse angepasst. Während für den kalten, nassen und matschigen Winter tiefe Profile und besonders weiche Gummimischungen Pflichtprogramm sind, kommen Sommerreifen deutlich härter daher, um auch bei strahlendem Sonnenschein und heißem Asphalt gut in Form zu bleiben. Zudem ist das Profil der Sommerreifen wesentlich „reduzierter“, sportlicher und dynamischer, um z.B. den Rollwiderstand und die Abrollgeräusche zu verringern und damit den Fahrkomfort zu steigern.
Die Eigenschaften von Saisonreifen gehen also zu Recht sehr weit auseinander, womit ein Ganzjahresreifen einen regelrechten Spagat hinlegen muss, um diesen Komfort, die Ökonomie und die Sicherheit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Zwar gab es bereits vor mehreren Jahrzehnten erste Konzepte und Entwicklungen, die Saisonbereifung für Sommer und Winter in einem Pneu vereinen sollten, doch wirklich „salonfähig“ und auch als verkehrssicher eingestuft wurden Ganzjahresreifen erst deutlich später. Zudem gilt es je nach globaler Lage und auch je nach Region innerhalb Deutschlands unterschiedliche Anforderungen und Umstände zu berücksichtigen, die Allwetterreifen als echte Alternative zulassen oder eben nicht. Im Großstadtverkehr einer mitteldeutschen Metropolregion werden All Season Tires auch in ferner Zukunft deutlich besser aufgehoben sein als in den bayerischen Alpen.
Entwicklung von All Season Reifen: Die Unerfahrenen müssen sich behaupten
Wenn auch die Bezeichnungen Ganzjahresreifen und Allwetterreifen gleichbedeutend sind, hat sich der Begriff Ganzjahresreifen für moderne Produkte am Markt stärker etabliert. Blickt man 10 oder 15 Jahre zurück, waren derzeit eher noch die Allwetterreifen in aller Munde. Wie man sie auch nennen mag, die Pneus für Winter- und Sommersaison waren zunächst das Metier der weniger namhaften Reifenhersteller. Als etablierte Marke am Reifenmarkt mit professionellem Anspruch galt die Kompromissbereifung lange Zeit nicht als ernstzunehmende Alternative. Und dann kam Michelin: 2015 ging der Michelin CrossClimate erstmals an den Start und damit der erste Ganzjahresreifen eines renommierten Premiumherstellers. Bis heute hat sich der Michelin Ganzjahresreifen fest etabliert und ist mittlerweile in verschiedenen Varianten erhältlich, z.B. als CrossClimate 2 oder CrossClimate SUV.
Seit dem Verkaufsstart des Michelin Sommerreifens, der auch als Winterreifen zugelassen war, nahm das Interesse und die Entwicklungsarbeit rund um Ganzjahresreifen spürbar zu. Weitere namhafte Hersteller der Branche folgten dem Vorbild Michelin, sodass Reifenkäufern heute ein breites All Season Angebot von Marken wie Pirelli, Bridgestone, Goodyear, Hankook, Continental oder Dunlop zur Auswahl steht. Da einerseits das Interesse an Vier-Jahreszeiten-Pneus massiv zugenommen hat und gleichermaßen die Technologien und Entwicklungen stetig voranschreiten, müssen sich die meisten Ganzjahresreifen heute nicht mehr verstecken.
Ganzjahresreifen: Verbot ab 2024? Ganz im Gegenteil!
Wie eingangs bereits erwähnt, kursiert der Irrglaube, dass Allwetterreifen ab 2024 verboten seien. Das stimmt so nicht bzw. nur sehr eingeschränkt! Stattdessen werden Ganzjahresreifen rapide weiterentwickelt und erfreuen sich deutlich steigender Beliebtheit, sodass sie sich immer weiter als echte Alternative zur klassischen Saisonbereifung etablieren.
Die Befürchtung eines Verbots von Ganzjahresreifen sowie die Frist 2024 ist auf das Alpine Symbol zurückzuführen. Hier im Reifen24.de Info-Cockpit erfahren Sie alles Wichtige zum Alpine Symbol, auch 3PMSF oder Schneeflockensymbol.
Um es kurz zu umreißen, dürfen seit Anfang 2018 keine Winter- und Ganzjahresreifen mehr neu produziert werden, ohne dass diese das Alpine Symbol tragen. Das 3PMSF Zeichen attestiert einem Reifen unabhängig und objektiv seine volle Wintertauglichkeit. Moderne Ganzjahresreifen gelten per Gesetz auch als Winterreifen, die zusätzlich über Eigenschaften für die warme Jahreszeit verfügen. Somit kommt die 3PMSF-Regelung auch bei Ganzjahresreifen zum Tragen.
Warum ein Verbot in 2024? Bis zum 30. September 2024 läuft die Schonfrist für Winter- und Ganzjahresreifen, die zwar als M+S Reifen ausgezeichnet sind, aber noch nicht das Alpine Symbol tragen. Diese Reifen wurden vor 2018 produziert und konnten somit bis Ende 2024 noch max. 7 Jahre genutzt werden, was ca. der empfohlenen Reifennutzungsdauer entspricht, bevor Alterserscheinungen zum Sicherheitsrisiko werden.
Das Verbot ab Oktober 2024 ist also nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern bezieht sich auf die Übergangsphase zwischen 2018 und 2024. Ältere Reifen ohne das Berg-Piktogramm mit der Schneeflocke unterliegen damit einer Schonfrist. Solange Ihre Pneus, ob Winter- und Ganzjahresreifen, dieses offizielle, international anerkannte Siegel für die Wintertauglichkeit tragen, haben Sie keinerlei Berührungspunkte mit einem etwaigen Verbot.
Eine aktuelle Zusammenfassung aller Details und Konsequenzen, die mit dem Ablauf der Schonfrist im Zusammenhang stehen, erhalten Sie HIER.
Was genau machen Ganzjahresreifen heute besser?
Die All-Season-Skepsis von Reifenexperten ist zwar nicht unbegründet, doch kann sie mittlerweile zumindest teilweise als veraltetes Vorurteil ad acta gelegt werden. Vor allem fundierte und umfassende Testergebnisse, wie zum Beispiel der Autobild Ganzjahresreifentest 2022, belegen eindrucksvoll, was die Premium-, Marken- und mitunter auch Budgethersteller der Branche in den letzten Jahren saisonübergreifend auf die Beine gestellt haben. Überzeugte All-Season-Autofahrer oder solche, die es noch werden wollen, dürfen zuversichtlich in eine Zukunft blicken, die auch sehr gut ohne den zweimal jährlichen Radwechsel funktioniert. Damit stehen Gegenwart und Zukunft der hybriden Reifen im positiven Kontrast zur jüngsten Vergangenheit.
Wie schon erwähnt, stellt es für die Reifenentwicklung eine große Herausforderung dar, die Eigenschaften von Sommer- und Winterreifen unter einen Hut zu bringen. Durch den Materialmix weisen Allwetter-Pneus in der Regel eine geringere Laufleistung und Langlebigkeit als Sommer- und Winter-Saisonreifen auf. Die Sicherheitsaspekte von Ganzjahresreifen im Winterbetrieb galten im Vergleich zu Top Winterreifen bisher als deutlich schwächer. Im Sommer hingegen konnten die Allwetterreifen durch ihr stärker ausgeprägtes Profil und das weichere Gummi in ähnlichem Maße nicht an die Spitzenleistung von bewährter Sommerbereifung heranreichen. Da es sich bei Ganzjahresreifen aber um eine eierlegende Wollmilchsau handelt und die Anforderungen von Reifenkunden und Regionen sehr unterschiedlich sind, dürfen die Hybride in vielen Fällen getrost als die bessere Wahl angesehen werden.
Allwetterreifen immer beliebter und bewährter: Sicherheit und Wintertauglichkeit erwiesen
Die Nachfrage nach der Hybridlösung für den ganzjährigen Betrieb hat in den letzten Jahren stark zugenommen und im Herbst 2021 ein Rekordhoch erreicht. Dementsprechend haben auch die Entwicklungsabteilungen der Reifenhersteller deutlich mehr in zuverlässige, sichere und möglichst breit aufgestellte Ganzjahres-Performance investiert, als noch vor einigen Jahren. Jedes einzige Ganzjahresreifenmodell hat dabei seine individuellen Stärken und Schwächen.
Im aktuellen Autobild-Test sind es sogar einige „Underdogs“, die überraschend überzeugende Leistung abliefern, wie z.B. Kleber Quadraxer und Nokian Seasonproof auf den Plätzen 4 und 6. Im Gegensatz dazu gibt es auch führende und namhafte Reifenmarken, die sich unerwartet auf den letzten Plätzen im Ranking wiederfinden und im All-Season-Segment scheinbar noch dazulernen müssen. In gewissen Aspekten schaffen es Ganzjahresreifen-Modelle sogar, besser mit winterlichen Bedingungen umzugehen als ihre reinrassigen Saison-Geschwister, wie die Autobild-Redaktion beim Test des Michelin CrossClimate 2 feststellte. Als eindeutiger Testsieger durch seine hervorragenden Eigenschaften in unterschiedlicher Hinsicht ist der Goodyear Vector 4 Season aus dem Autobild-Vergleich hervorgegangen.
Dies offenbart im Großen und Ganzen, dass mit veralteten Vorurteilen und pauschalen Annahmen zu Ganzjahresreifen aufgeräumt werden muss.
Trivia fürs ganze Jahr: Noch etwas Allwetter-Allgemeinwissen
Wie steht es generell um die Laufleistung und Ökonomie von Ganzjahresreifen?
Ein zentraler Kritikpunkt an Ganzjahresreifen ist oft die schnellere Abnutzung und damit geringere Gesamtlaufleistung. Diese Eigenschaft ist auf den Materialmix und auf den Betrieb in einem breiten Spektrum von Temperaturen und Witterungsbedingungen zurückzuführen. Zudem werden Allwetterreifen nicht wie Saisonreifen jeweils ein halbes Jahr eingelagert, sondern befinden sich permanent in Betrieb und sind damit auch pausenlos den Umwelteinflüssen ausgesetzt.
Aber sind Ganzjahresreifen damit auch weniger kosteneffizient? Nein, denn allein in der Anschaffung sind nur 4 Reifen notwendig statt 8 (4 Sommer- und 4 Winterreifen). Zudem muss auch der 2x jährliche Zeitaufwand (Radwechsel selbst durchführen) oder aber Zeit- und Kostenaufwand für den Räderwechsel in der Werkstatt berücksichtigt werden. Unter dem Strich können Autofahrer, deren Fahrgewohnheiten und regionales Umfeld den Fähigkeiten von Ganzjahresreifen entsprechen, durchaus ökonomischer mit ebendiesen unterwegs sein.
Sicherheit und Wintertauglichkeit: Vorsicht bei M+S Reifen ohne Alpine-Symbol
Ob Ganzjahresreifen Sommerreifen mit Wintereigenschaften oder Winterreifen mit Sommereigenschaften sind, war in Vergangenheit nicht eindeutig geregelt. Mittlerweile ist klar, dass die Basis für moderne Ganzjahresreifen immer der Winterreifen sein muss, der zusätzlich über Eigenschaften für sicheres Fahren im Sommer verfügt. Die offizielle Wintertauglichkeit müssen Allwetterreifen daher ebenso wie Winterreifen erfüllen, gekennzeichnet und nachgewiesen durch das 3 PMSF Symbol mit dem Berg und dem Eiskristall.
Bis Ende 2017 waren Winter- und Allwetterreifen oftmals lediglich mit der M+S Kennzeichnung (Mud + Snow bzw. Matsch + Schnee) versehen. Das jetzt relevante 3PMSF-Symbol (3 Peak Mountain Snow Flake) zeigt einen Berg mit drei Spitzen und eine Schneeflocke. Für Ganzjahresreifen ist das Piktogramm gerade deshalb besonders wichtig, weil Reifen ohne dieses Symbol (nur M+S-Kennzeichnung, produziert vor Januar 2018) im Rahmen einer Übergangsfrist noch bis zum 30. September 2024 genutzt werden dürfen. Ab dem 1. Oktober 2024 sind dann nur noch Ganzjahresreifen mit dem 3PMSF-Symbol für den Winter zugelassen.
Mischbereifung: Ganzjahresreifen und Saison-Pneus gleichzeitig fahren?
Dürfen Ganzjahresreifen zusammen mit Winterreifen oder Sommerreifen auf einem Fahrzeug betrieben werden? Grundsätzlich ist die Mischbereifung vom Gesetzgeber nicht verboten. Es ist sogar erlaubt, Sommer- und Winterreifen gleichzeitig auf einem Fahrzeug montiert zu haben, wovon aufgrund der Fahrsicherheit und Stabilität jedoch dringend abgeraten wird. Der „Kontrast“ zwischen Ganzjahresreifen und Saisonreifen für Sommer bzw. Winter ist zwar nicht so ausgeprägt, dennoch sollten auch Ganzjahresreifen immer in bester Gesellschaft zu viert auf einem Fahrzeug gefahren werden.
Wie bei allen Arten der Mischbereifung gilt auch hier, dass Reifen zumindest auf der gleichen Achse (Vorder- und Hinterachse) keine Abweichungen beim Reifentyp, der Reifengröße oder bei der Profiltiefe aufweisen sollten. Im Unterschied zwischen den Achsen können zumindest bedingt empfohlen unterschiedliche Profiltiefen oder leichte Abweichungen zwischen den Reifenmodellen hingenommen werden, solange diese nicht zu gravierend ausfallen.
Ganzjahresreifen auf Allrad und SUV?
Das passt doch nicht zusammen, oder? Doch, mittlerweile schon! Noch bis 2020 gab es wenige überzeugende Ganzjahresreifen-Testergebnisse für SUV, doch auch hier hat Autobild 2022 mit einem speziellen Test von Allwetterreifen in 225/50 R18 für SUV neue Perspektiven eröffnet. Ähnlich wie im aktuellen Test für Kleinwagen (195/55 R16) haben die Ganzjahresreifen im großen Format an Überzeugungskraft zugelegt.
Eine All-Season-Voreingenommenheit ist damit auch im Fahrzeugsegment der SUV mittlerweile in die Jahre gekommen, denn 4x4-Antrieb darf heute auch mittels 4-Season-Reifen guten Gewissens den Kontakt zur Straße aufnehmen.